„WIENER CAFES“ UND CAFÉ BRATUŽ

„WIENER CAFES“ UND CAFÉ BRATUŽ

geschrieben von KARLO NANUT

Kaffeehäuser spielten in Görz seit der Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie eine wichtige Rolle. Selbst heute, wo alle Geschäfte schließen, ist die Barwirtschaft vielleicht das einzige verbliebene profitable Geschäft. Zu Zeiten der österreichischen Monarchie gab es in Görz eine große Anzahl „Wiener Kaffeehäuser“. Einige von ihnen blieben auch später erhalten. Das Wiener Kaffeehaus war nicht nur ein Ort des Kaffeetrinkens, sondern ein Symbol für Langsamkeit, Geselligkeit und kulturelle Tradition und wurde 2011 sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Einer Legende zufolge fanden polnisch-habsburgische Soldaten nach der Belagerung Wiens im Jahr 1683 Säcke mit seltsamen Körnern, die sie zunächst für Kamelfutter hielten. Diese wurden Jerzy Kulczycki übergeben, der ein Rezept mit Milch und Zucker erfand und der Legende nach das erste Wiener Kaffeehaus eröffnete. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelten sich die Wiener Kaffeehäuser zu intellektuellen Zentren: Schriftsteller, Künstler, Philosophen und Politiker besuchten sie regelmäßig. Charakteristisch für diese traditionellen Kaffeehäuser sind außerdem weiße Marmortische, Stühle im Thonet-Stil, Kristallleuchter, Zeitungsfächer, Klaviere und eine angenehme Atmosphäre, die ein Gefühl von Heimeligkeit vermittelt. Nur wenige Menschen erinnern sich noch an das Kaffeehaus, das seinen Wiener Charme bis 1967 bewahrte und 1922 von Rudi Bratuž in Gorizia eröffnet wurde. Er war der Cousin des Chorleiters und Komponisten Lojze Bratuž, der von den Faschisten hingerichtet wurde, indem man ihm mit Glassplittern vermischtes Motoröl zu trinken gab. Zusammen mit seiner Frau Marija mietete Rudi zunächst Räumlichkeiten in der Mameli-Straße und zog dann in größere Räume im Gebäude nebenan. Mit der Zeit erweiterten sie das Kaffeehaus. Sie hatten auch ein Billardzimmer und später Tische für Quartospieler. Bratužs Café wurde bald weithin berühmt. Wie viele Slowenen aus Gorizia erlebte Rudi die Grausamkeit des faschistischen Regimes. Er wurde mehrmals geschlagen und dann in einer kleinen Stadt in der Provinz Macerata interniert. Nach einiger Zeit wurde er freigelassen, blieb aber weiterhin unter der Aufsicht von Polizeibeamten. In den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs musste er oft schweigen und Demütigungen ertragen, wenn die Faschisten oder Tschetniks in seiner Bar machten, was sie wollten. Er selbst erzählte später, wie die Faschisten Zigarettenstummel direkt in die Kaffeetassen drückten und der unglückliche Gast, der Kaffee bestellte, das „verseuchte“ Getränk trinken musste. Nach dem Krieg und insbesondere in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich sein Café zu einem lebhaften Treffpunkt. Es war der einzige Ort, an dem slowenische Görzer, die sogenannten „Weißen“ und „Roten“, an einem Tisch saßen. Sein Ruf erstreckte sich jedoch nicht nur auf die Einheimischen; es wurde auch von zahlreichen Triestinern und Flüchtlingen besucht, die vorübergehend in Görz lebten, bevor sie nach Amerika oder in andere Teile der Welt aufbrachen. Unter den Gästen befanden sich etliche ältere Herren italienischer Staatsangehörigkeit, Nachkommen alter Görzer Bürgerfamilien, die die nationale Trennung nicht guthießen. Neben ihnen saßen dalmatinische und istrische Flüchtlinge, die aufrichtige und freundschaftliche Beziehungen zu den Einheimischen pflegten. Diese besondere Mischung von Menschen zog auch Spione aus aller Welt an, die Informationen für die amerikanische, britische oder jugoslawische Armee sammelten. Im Februar 1947 kappte die Einführung der sogenannten „Französischen Linie“ die Verbindungen der Stadt zu ihrem Hinterland. Damals wurde das Café Bratuž zu einem Treffpunkt für Schmuggler, die allerlei Dinge über die Grenze schmuggelten, vor allem amerikanische Zigaretten aus Jugoslawien. Zu den berühmten Gästen zählte beispielsweise der aus Dalmatien stammende Flüchtling Enzo Bettiza, Sohn eines Fabrikbesitzers aus der Gegend von Split, der später zu einem der bekanntesten italienischen Journalisten wurde. Als die Behörden die Passierscheinpflicht einführten, kehrten auch ehemalige Besucher aus Jugoslawien ins Café Bratuž zurück, angezogen von der einzigartigen Atmosphäre der Stadt. Im Café Bratuž tranken die Leute nicht nur Kaffee und blätterten in Zeitungen; hier wurden Ideen, Freundschaften und sogar sportliche Leidenschaften geboren. Eines Tages gründeten die Stammgäste den „Schachclub des Cafés Bratuž“. So begannen spannende Duelle mit Gegnern aus anderen Cafés der Stadt. Zu den Meistern des Spiels zählten Vilko Cotič, Elo Merkuža und Josip Bitežnik, Männer mit ruhiger Hand und scharfem Verstand. Als das Café seine Türen schloss, verstummte die Schachbegeisterung nicht. Danilo Nanut, ein treuer Besucher und leidenschaftlicher Spieler, übertrug sie auf die Oton Župančič -Gesellschaft in Štanjel, wo er Kinder und Jugendliche versammelte und sie für dieses Spiel begeisterte. Ich war einer von ihnen, ein zwölfjähriger Junge, der an diesem Tag lernte, dass Schach nicht nur ein Spiel ist, sondern mehr. Von da an spielte ich immer und überall Schach, auch mit meinen Kindern. Aber das Café war nicht nur für Schach bekannt. Es war ein Treffpunkt der Kulturen und Nationen. Slowenische und italienische Kulturschaffende, Journalisten, Professoren und Kaufleute saßen an denselben Tischen. Unter ihnen waren Max Fabiani, Emil Komel und Lipizer, die sich dort regelmäßig trafen. In den Regalen lagen Zeitungen aus aller Welt: Primorski dnevnik , Soča , Katoliški Glas , Ljubljanas Slovenski poročevalec , Il Piccolo , Gazzettino , der österreichische Kurier , die Schweizer Weltwoche . Während der Lesezeit herrschte Stille, nur das Rascheln des Papiers erfüllte den Raum. Wenn jemand zu laut sprach, ging Rudi darauf zu und sorgte mit ernstem Blick und erhobenem Finger dafür, dass wieder Ruhe einkehrte. Rudi war ein Mann der Worte und Taten. Er diskutierte gern über Politik. 1948 und 1952 wählten ihn die Wähler in den Gemeinderat und 1951 in den Provinzrat. Nach 45 Jahren Arbeit schlossen er und seine Frau Marija am 19. November 1967 das Café. Sie gingen über den Ozean nach London, Kanada, wo ihre Tochter Damjana Bratuž, eine Musikprofessorin, lebte. Rudi starb 1981 in Kanada, und seine Tochter Damjana starb im Mai dieses Jahres. Die Erinnerung an Rudi und das Café Bratuž, in dem das Herz des alten Görz schlug, ist noch immer lebendig und ein ermutigendes Beispiel für die heutige schwierige Zeit, in der wir keine Zeit mehr für entspannte Geselligkeit in einer friedlichen und kulturell reichen Umgebung haben.